21 Juni 2008

Charaktere (1): Der Finstere

Der Finstere ist einer, der sein Erleben verdunkelt. Dass morgen wieder die Sonne aufgehen wird, vermag ihn nicht zu erheitern. Er nimmt es widerwillig, höchstens phlegmatisch, zur Kenntnis. "Morgen" ist überhaupt seine Obsession, von der er sich Mühen und Plagen, kleine Widrigkeiten und aufreibende Auseinandersetzungen, Hinternisse und Verzögerungen, Unglücke, Unfälle, Katastrophen, erwartet.

Vom Pessimisten unterscheidet ihn, dass er seine Befürchtungen lieber für sich behält, anstatt sie liebevoll ausgeschmückt seinen optimistischeren Zeitgenossen vorzusetzen. Es würde ihm auch schwerfallen, seine Erwartungen zu konkretisieren und dadurch nachvollziehbar darzustellen. "Konkretisieren" scheut er wie die Katze den heißen Brei.

Dies unterscheidet ihn auch vom Skeptiker, der er gerne sein möchte. Nichts würde ihm mehr behagen, als mit diesem verwechselt zu werden. Doch der wahre Skeptiker bezweifelt nicht nur den unbegründeten Optimismus und plumpen Fortschrittsglauben, sondern auch (und zwar besonders eifrig) das böse Omen und den unbewiesenen Defätismus. Der Finstere dagegen ist abergläubisch: Das Gute zu erwarten, bedeutet ihm, das Unheil herbeizurufen. Und über ungelegte Eier wird er niemals sprechen.

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